Heißer, schneller, schlimmer  
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Veröffentlicht am Mittwoch, dem 22. Februar 2006 von www.CommonDreams.org

Heißer, schneller, schlimmer
von John Atcheson
 

In den letzten Monaten hat die normalerweise zurückhaltende Stimme der Wissenschaft in Bezug auf die globale Erwärmung einen panischen Ton angenommen.

Wie kam es, dass die Debatte über die "Ungewissheit" in der Klimawissenschaft in fast hysterische Warnungen von Seiten normalerweise sachlich argumentierender Wissenschaftler über die unumstößlich katastrophalen Folgen übergegangen ist? Zwei Gründe.

Zunächst gibt es seit mehr als einem Jahrzehnt keine wirkliche Unsicherheit unter den Wissenschaftlern. Ein unheilige Allianz von tonangebenden Firmen, die fossile Brennstoffe produzieren, und konservativen Politikern hat eine ausgeklügelte und kapitalkräftige Missinformations-Kampagne geführt, um ungeachtet einer fast universellen wissenschaftlichen Übereinstimmung Zweifel und Kontroversen zu schaffen.Sie erhielten Hilfe und Unterstützung von einer Presse, die Meinungsstreit der Wahrheit vorzieht, und der Regierung Bush, die systematisch versuchte, die Wissenschaft zu verfälschen und die Regierungswissenschaftler mundtot zu machen und einzuschüchtern, die sich über die globale Erwärmung zu äußern versuchten.

Der zweite Grund ist jedoch, dass die Wissenschaft nicht in der Lage war, genaue Berechnungen anzustellen und im Modell bestimmte positive Rückkopplungs-Mechanismen vorauszusehen, die Aufschluss gegeben hätten über Geschwindigkeit und Ausmaß des durch den Menschen hervorgerufenen Klimawandels. Und bei der globalen Erwärmung können sich positive Rückkopplungs-Mechanismen sehr negativ auswirken. Die nackten Tatsachen sind, dass wir schnell auf mehrere Kipp-Punkte zusteuern – ja sie wahrscheinlich schon überschritten haben die die globale Erwärmung irreversibel machen könnten.

In einem Leitartikel der Baltimore Sun am 15. Dezember 2004 skizziert der Autor einen solchen Kipp-Punkt: eine sich selbst verstärkende Rückkopplungsschleife, in der höhere Temperaturen den Ausstoß von Methan – ein starkes Treibhausgas – aus eisähnlichen Strukturen, den sogenannten Klathraten, verursachen. Dies wiederum führt zu erhöhten Temperaturen, die wiederum den Ausstoß von noch mehr Methan zur Folge haben usw. Obwohl es deutliche Hinweise darauf gab, dass dieser Mechanismus zu mindestens zwei Extrem-Warmzeiten in der geologischen Vergangenheit geführt hat, hatte die wissenschaftliche Gemeinschaft 2004 ihr Augenmerk noch nicht auf das Methaneis gelenkt.Selbst die wenigen Pessismisten glaubten oder hofften, wir hätten noch ein Jahrzehnt oder so, bevor etwas Ähnliches seinen Anfang nehmen würde.

Wir haben uns geirrt.

Im August 2005 gab ein Wissenschaftler-Team aus Oxford und von der Universität in Tomsk, Russland, bekannt, dass ein massives sibirisches Torfmoor von der Größe Deutschlands und Frankreichs zusammen am Auftauen war und dabei Milliarden Tonnen Methan freisetzte.

Das letzte Mal, dass es warm genug wurde, um diese Rückkopplungsschleife in Gang zu setzen, war vor 55 Millionen Jahren, während einer Periode, die als Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum (PETM) bekannt ist, als zunehmende vulkanische Aktivitäten genügend Treibhausgase freisetzten, um eine Reihe von sich selbst verstärkenden "Methan-Rülpsern" hervorzurufen. Die daraus resultierende Erwärmung verursachte massives Artensterben und es dauerte mehr als 100.000 Jahre, bis die Erde sich davon erholt hatte.

Es sieht so aus, als seien wir drauf und dran, ein viel schlimmeres Geschehen auszulösen.
Bei einer kürzlichen Wissenschaftstagung der AAAS (American Academy for the Advancement of Sciences) in St. Louis berichtete James Zachos,
der führende Experte für das PETM dass sich Treibhausgase heute 30 Mal schneller in der Atmosphäre anreichern als es während des PETM geschah.

Vielleicht haben wir gerade die erste Salve dessen miterlebt, was sich als ein unumkehrbarer Weg zur Hölle auf Erden erweisen könnte.

Es gibt andere positive Rückkopplungsschleifen, die wir nicht vorausgesehen haben. Z. B. schädigte die Hitzewelle, die im Jahr 2003 35.000 Menschen tötete, auch die Waldgebiete Europas und ließ sie dadurch mehr CO2 das Haupttreibhausgas ausstoßen als aufnehmen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was wir in unsere Modelle einbauen, die die Wälder als einen Schwamm ansehen, der überschüssiges CO2 aufnimmt.

Das Gleiche geschieht mit einer Anzahl unserer Ökosysteme, die unsere Modelle und Wissenschaftler als CO2-Senken ansahen. Der Amazonas-Regenwald, die nordischen Wälder (einer der größten terrestrischen Kohlendioxid-Senken des Planeten) und die Böden in gemäßigten Gebieten setzen alle mehr Kohlendioxid frei als sie aufnehmen, aufgrund von Dürren, hervorgerufen durch die globale Erwärmung, Krankheiten, Schädlingsaktivitäten und Änderungen des Stoffkreislaufes. Kurz gesagt: Vieles, was wir als CO2-Schwamm in unseren Modellen behandeln, nimmt kein  überschüssiges CO2 auf, sondern wird ausgewrungen und setzt zusätzliches CO2 frei.

Die Eiskappe des Nordpols schmilzt ebenfalls viel schneller als die Modelle es voraussagen können und setzt damit einen weiteren Ruckkopplungseffekt in Gang. Weniger Eis bedeutet mehr offenes Wasser, das wiederum mehr Hitze absorbiert, was wiederum weniger Eis bedeutet usw.

Es ist sogar noch schlimmer: Wir haben erheblich unterschätzt, mit welcher Geschwindigkeit die Kontinentalgletscher abschmelzen.

Klimawandel-Modelle sagen voraus, dass es mehr als 1000 Jahre dauert, bis die Eisdecke Grönlands schmilzt. Aber während der AAAS-Wissenschaftstagung in St. Louis stellte Eric Rignot von der NASA die Ergebnis einer Studie vor, die zeigt, wie das Grönland-Eis auseinander bricht und ins Meer fließt mit Geschwindigkeiten, die alles übertreffen, was die Wissenschaftler vorausgesagt haben. Und das Tempo beschleunigt sich Jahr für Jahr. Falls (oder dann, wenn) die Eisdecke Grönlands schmilzt, wird der Meeresspiegel um 6 ½ m steigen das genügt, um fast jeden Hafen in Amerika zu überschwemmen.

In der Antarktis findet ein anderer verheerender Rückkopplungseffekt statt.Die Krill-Populationen sind in den letzten Jahren aufgrund des Meereseis-Verlustes um 80 %  zurückgegangen. Krill ist die wichtigste Spezies in der Nahrungskette des Meeres. Er nimmt auch gewaltige Mengen von CO2 aus der Atmosphäre auf. Niemand hat  sein Absterben vorausgesehen, aber die Folgen sowohl für die globale Erwärmung als auch für die Gesundheit des Ökosystems des Meeres sind katastrophal. Auch das wird sich selbst beschleunigen, da weniger Krill bedeutet, dass mehr CO2 in der Atmosphäre verbleibt, was die Meere erwärmt, was weniger Eis bedeutet, was weniger Krill bedeutet usw., usw. eine massive, negative Spirale.

Einer unserer hervorragender Planetenwissenschaftler, James Lovelock, glaubt, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Menschen auf ein paar wenige Brutpaare in der Antarktis beschränkt sein werden. Es wäre bequem, Professor Lovelock als Weltuntergangsapostel abzuqualifizieren. Das wäre jedoch ein Fehler. Vor etwas mehr als einem Jahr, zum Abschluss einer Weltkonferenz in Exeter, England, zur Verhinderung des gefährlichen Klimawandels, warnten die Wissenschaftler davor, dass wir ernsthafte und unumkehrbare Folgen heraufbeschwören würden, wenn wir zuließen, dass die Treibhausgaskonzentration 400 ppm übersteigt. Wir haben diese Wendemarke im Jahr 2005 ohne große Notiz und ohne Trara überschritten.

Die wissenschaftliche Unsicherheit bei der globalen Erwärmung bezieht sich nicht darauf, ob sie stattfindet oder ob sie durch menschliche Aktivitäten verursacht wird oder auch, ob es uns zu viel kostet, jetzt damit klarzukommen. Das ist alles geklärt. Die Wissenschaftler diskutieren nun, ob es zu spät ist, die Verwüstung des Planeten zu verhindern oder ob wir noch ein kleines Zeitfenster haben, um die schlimmsten Auswirkungen der globalen Erwärmung zu verhindern.

Unsere Kinder vergeben uns vielleicht für die Schulden, die sie von uns übernehmen; sie vergeben uns vielleicht auch, wenn es weiterhin den Terrorismus gibt und  vielleicht sogar dafür, dass wie die Gelegenheit versäumt haben, den nuklearen Flaschengeist wieder in seine Flasche einzusperren.
Aber sie werden unsere Gebeine bespucken und unseren Namen verfluchen, wenn wir ihnen eine Welt vererben, die kaum bewohnbar ist, obwohl es in unserer Macht stand, das zu verhindern.

Und das mit Recht.

Der Artikel von John Atcheson (atchman@comcast.net) erschien in der Washington Post, der Baltimore Sun, den San Jose Mercury News, dem Memphis Commercial Appeal und auch in einigen  Arbeitsjournalen.

Quelle: www.commondreams.org